Meine Heimat, mein Glaube,
meine Kunst
Solomon Raj
über sich selbst |
3. Kunst und Glaube |
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Während ich künstlerisch produktiv war, vergass ich nie, über meinen Glauben
nachzudenken und mich so tief wie möglich in das Gebiet der Beziehung zwischen Kunst und
Religion einzuarbeiten.
Im Rahmen meiner Forschungen auf
dem Gebiet der interkulturellen Kirchengeschichte, die ich 1983 an der Universität
Birmingham für einen Doktorgrad in Theologie betrieb, stiess ich beiläufig auf das
Phänomen der einheimischen Kunstformen in den Kirchen. Die Kirchenlieder, die Liturgie,
die Visionen und Träume der jüngeren Kirchen in unserer Welt geben dafür in der Tat ein
sehr interessantes Studiengebiet ab. Die mündliche und erzählende Theologie dieser
Kirchen in der Form von Liedern , Geschichten, Tänzen und Theaterspielen hat man im
Westen noch nicht ausreichend studiert und verstanden. |
Erfahrung mit Evangelien-
spielen |
Ich hatte etwas Erfahrung gesammelt, als ich versuchte, Evangelienspiele in der
Telugu-Sprache in die klassische Tanzform meines Heimatlandes zu übersetzten. Dies half
mir in gewisser Weise, die Rolle zu verstehen, die das Medium Kunst für religiöse
Erfahrung bieten kann. Erfreulicherweise gibt es nun mehr Mitbrüder in Indien, die sich
für diese Form des Experimentes mit den indischen Künsten interessieren, und wenn man
ihre Versuche auf den Gebieten der bildenden und darstellenden Künste verfolgt, fühlt
man sieh nicht mehr so allein auf diesem Feld. |
Gibt es "christliche
Kunst"? |
Eine der Organisationen, die die Künste in der Kirche des heutigen Indiens
fördert, heisst "Indian Christian Arts". Ich habe sie bereits erwähnt. Nun
wird manchmal die Frage im Kreise indischer Künstler gestellt, ob es so etwas wie
"christliche Kunst" überhaupt gebe. Wodurch wird ein Kunstwerk überhaupt
christlich? Ist es das gestaltete Motiv, etwa aus der Bibel, das ein Kunstwerk christlich
macht? Ist es etwa der Künstler, der zufällig Christ ist und der deshalb
"christliche Kunst" schafft? Träfe das zu, was wäre dann mit einigen wirklich
bewegenden Darstellungen der Kreuzigung, die durch die Hände einiger nichtchristlicher
Künstler in Indien entstanden sind? Wie etwa würde man die eindrucksvollen dichterischen
Werke einordnen aus der Feder nichtchristlicher Autoren, die dennoch eine eindringliche
eschatologische Botschaft haben, die Botschaft der Erlösung, die sie der Welt bringen
möchten? Eine dieser Dichtungen inspirierte mich zu meiner Batik "Chariot Wheel".
Ein anderes Gedicht des progressiven Telugu-Dichters Sri Sri war die Anregung zu meiner
Batik "Fiery Wheel". Sri Sri ist kein Christ, aber ein entschlossener
Humanist, der ,den Armen und Unterdrückten die Erlösung verkündete'. |
Prophetisches Element der
Kunst |
Ich bin inzwischen der Überzeugung, dass in manchen Kunstwerken so etwas wie ein
prophetisches Element liegt und dass die Künstler wie Propheten ans Werk gehen, nämlich
mittels göttlicher Inspiration. Er ist oft "ausser sich", wenn er schöpferisch
tätig ist, ob er nun ein Bild mit biblischem Hintergrund gestaltet oder von dieser Quelle
unbeeinflusst ist, ob er Christ ist oder nicht. Künstler und Prophet schöpfen zuweilen
beide aus Schichten, die ausserhalb des Bewussten liegen. Sowohl die Propheten wie auch
die Künstler verwenden eine symbolische Sprache und sehen in vielen Fällen Dinge, die
gewöhnliche Menschen nicht gleich sehen. Künstler gehen wie die Propheten mehr in die
Tiefe, legen neue Richtungen fest und setzen für die Gesellschaft neue Maßstäbe. Es
gibt viele Beispiele für diese Art prophetischer Bildung, etwa ,Guernica', um nur eines
aus dem grossen Werk Picassos zu nennen.
Inzwischen frage ich nicht mehr
danach, ob ein Kunstwerk christlich ist oder nicht. Ich schaue nur, ob es eine
prophetische Botschaft enthält. |
Biblische Motive meiner
Bilder |
Viele meiner Bilder enthalten biblische Motive, und deswegen sprechen viele Leute
von meinen Bildern als von ,christlicher Kunst'. Sie fragen mich sogar, ob meine Bilder
für mich eine Art ,Hilfsmittel der Evangelisation' sind.
 Für mich ist jede Kunst religiöse
Kunst, selbst van Goghs "Sonnenblumen" oder die geheimnisvoll verschlungenen
Schriftzüge eines Rabindranath Tagore. Selbstverständlich ist meine Kunst auch ein
Mittel der Evangelisation, aber nicht dadurch, dass sie Menschen für die Kirchen gewinnen
soll, sondern dadurch, dass sie oft eine prophetische Botschaft hat, auf welche die
Menschen antworten. Wenn auch nur eines meiner Bilder in den Betrachtern tiefere Fragen
weckt, wenn es sie in irgendeiner Weise beunruhigt, wenn es die Menschen dazu anregt, ihre
Ansichten und Werte zu überprüfen oder wenn eines meiner Bilder wenigstens eine wie auch
immer geartete emotionale Reaktion hervorruft, dann würde ich mein Werk als
"evangelistisch" bezeichnen, mit anderen Worten, dann ist es "Frohe
Botschaft".
Für mich ist also nicht
entscheidend, ob es christliche Kunst oder nichtchristliche Kunst ist, ob es religiöse
Kunst oder profane Kunst ist, für mich liegt der Unterschied eher darin, ob es sich um
prophetische oder nichtprophetische Kunst handelt. |
Kunst und Symbole |
Künstler wie Propheten, so sagte ich bereits, gebrauchen eine symbolische
Sprache. Mit einem Symbol wie der Lotusblüte oder der aufgehenden Sonne kann man viel
ausdrücken und viel beinhalten. Symbole schreiben nicht vor, sie evozieren, sie sind
offen für die Reaktion des Betrachters und sie sprechen ihn oft in seiner eigenen Sprache
an und vermögen daher ihre Botschaft wirkungsvoll auszudrücken. Einen tieferen
Sinngehalt kann man oft besser in allegorischer Sprache verdeutlichen als durch
definitorische Ausdrucksweise. Bilder und Symbole sind also in vielen Fällen für die
Kommunikation besser geeignet als die blosse Informationssprache. |
Kultureller Hintergrund
der Symbole |
Aus diesem Grund verwendet der Künstler häufig die Sprache der Symbole. Und wo
kommen diese Symbole her? Sie stammen oft aus dem kulturellen Hintergrund des Künstlers.
In vielen Kulturen gibt es eine für die jeweilige spezifische Ausprägung typische
Symbolsprache.
In Indien finden wir sowohl in
der Literatur wie auch in den bildenden Künsten einen reichen Schatz an Symbolen. In der
indischen Literatur gibt es sogenannte Mamkaras (Ausschmückungen), Bhranti (Irreführung
des Lesers), Rubaka (Metaphern), Ullekha (multiperspektivisches
Erzählen), Slesha (Wortspiele) - alles rhetorische Stilmittel, die in Indien
bestens bekannt sind. |
Symbole in der
darstellenden Kunst |
Die indischen Künstler, Maler und Bildhauer benützen in ihren Kunstwerken die
gleichen Ausdrucksformen wie die Dichter und Erzähler, freilich figurativ darstellend.
Wenn sie eine Lotusblume abbilden, ist das für sie das Symbol des Aufstrebens aus der
Dunkelheit ins Licht. Der Nimbus oder "Heiligenschein" über den Köpfen von
Personen steht für Heiligkeit und Göttlichkeit. Die weit geöffneten Augen sind ein
Symbol für die ständige Wachsamkeit Gottes, und manchmal heissen Götter und Göttinnen
in Indien "Meenakshi" oder ,fischäugige Gottheiten'. Ihr Auge hat die Gestalt
eines Fisches. Da ein Fisch nie seine Augen schliesst, ist dieses Symbol ein schönes Bild
für die Götter, die ihre Augen nicht verschliessen vor den Bedürfnissen ihrer Kinder. |
Symbole aus der Körper-
sprache |
Es gibt auch viele Gesten in der indischen Ikonographie, die aus der
Körpersprache des Tanzes entnommen sind, und man sieht sie immer wieder auf Gemälden und
Skulpturen dargestellt. Eine davon heisst Abhaya Mudra, (dabei ist die rechte Handfläche
mit den geschlossenen, nach oben weisenden Fingern dem Betrachter zugewandt), die Wahrada
Mudra oder die Data Mudra, die Symbole sind für überreiche Segensfülle (dabei ist die
linke Handfläche mit den geschlossenen und nach unten zeigenden Fingerspitzen dem
Betrachter zugewandt). Es gibt viele Variationen allein der Handstellung, und jede dieser
Gesten, jeder Gesichtsausdruck hat eine feste Bedeutung, welche die Menschen in Indien
lesen wie einen Text. |
Meditations- symbole |
Zudem gibt es noch Meditationssymbole wie das Mandala, welches in der einfachsten
Ausführung eine geschlossene Form darstellt, die durch zwei sich kreuzende Kreis-bögen
gebildet werden. Die Mandala hat viele verschiedene Formen, ein Oval, einen Kreis usw.
Mandalas sind besondere Symbole, die für den Himmel, die Erde und das Gebiet dazwischen
stehen. Es gibt auch Vierecke innerhalb von Kreisen, Kreise innerhalb von Vierecken,
Lotusblütenlätter in einem Kreis usw. usw. |