P. Solomon Raj

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Meine Heimat, mein Glaube, meine Kunst
Solomon Raj über sich selbst

4. Neue Bedeutung alter Symbole
Christliche Künstler haben zu allen Zeiten Anleihen bei den Symbolen genommen und versucht, ihnen eine neue Bedeutung zu geben. R. H. Bainton weist in seinem Buch "Images of Christ" darauf hin, dass bereits im ersten Jahrhundert in Katakombenzeichnungen der Christusgestalt Elemente aus drei verschiedenen Kulturkreisen zu finden sind - Bart und Haartracht Christi gehen auf die syrische Kultur zurück, die Buchstaben Chi und Rho auf beiden Seiten von seinem Kopf auf das griechische Alphabet, und der Kreis um seinen Kopf könnte aus den buddhistischen Wandmalereien von Ajanta und Ellora stammen.
Inkulturations- prozess P. Solomon Raj:  Batik "Befreiung von täglichen Sorgen";  Grossbild: 64 KbDies, so führt Bainton aus, ist ein Inkulturationsprozess, der damals begann und durch die ganze Geschichte der christlichen Kirche anhielt. Das Christentum, so schreibt Bainton weiter, das seine Ursprünge im Judentum hat, wurde nacheinander hellenisiert, romanisiert, keltisiert, anglisiert und germanisiert und musste darüber hinaus noch an die Sitten und Gebräuche asiatischer und afrikanischer Religionen angepasst werden. Im Verlauf dieser Entwicklung wurde manchmal das heidnisch, was christlich war, und das christlich, was heidnisch war.
Westlich geprägte Theologie und Liturgie In Indien blickten die Christen lange Zeit mit Argwohn auf alles, was auch nur entfernt eine Verbindung zum Hinduismus hatte. Die christlichen Kirchen machten einen grossen Bogen um einheimische Kunstformen wie Tanz, Musik, Malerei und Skulptur. Lange hatte die Kirche nur Übersetzungen von westlichen Kirchenliedern verwendet, die man zu westlichen Melodien sang, weil man glaubte, dass die indischen Melodien für christliche Lieder nicht gut genug seien. Die Liturgie der indischen Kirchen war bis vor kurzem ein blosser Abklatsch der westlichen Vorbilder. Die Theologie war vom Westen importiert, und Seminare in Indien lehrten, wie man diese Theologie nach westlichen Vorbildern und Gedankengängen anzuwenden hatte. Das ging so weit, dass, wie jemand treffend formuliert hat, die indische Kirche ,nicht einmal eine ordentliche Häresie hervorgebracht' hat. Die Gründe für diese übertriebene Vorsicht sind nicht schwer zu finden.
Christentum als Minder- heitenreligion Das Christentum ist in Indien immer eine Minderheitenreligion gewesen. Der Hinduismus dagegen hat sich immer viel mehr als "Dharma", als Lebensgrundeinstellung, denn als Religion verstanden. Auf diese Weise konnte der Hinduismus ohne Schwierigkeiten von Zeit zu Zeit Elemente aus anderen Glaubensgemeinschaften übernehmen und als Elemente des Hinduismus integrieren. Der Buddhismus beispielsweise ist heute in seinem eigenen Ursprungsland keine eigene Religion mehr. Er ist aus ganz praktischen Gründen ein Teil des Hinduismus geworden.
leerkl.gif (812 Byte)Die Christen waren dagegen von Anfang an darauf bedacht, ihre Identität zu wahren, und wachten aufmerksam darüber, dass sie in ihrer Glaubenslehre und ihrem Glaubensleben nicht Elemente aufnahmen, die damit unvereinbar waren.
Verpasste Gelegenheit Die Kirche in Indien hat durch diese Haltung eine wichtige Gelegenheit verpasst, sich des einheimischen kulturellen Idioms zu bedienen, den Glauben dadurch wirkungsvoll einzuwurzeln. Damit ist sie um die Erfahrung gekommen, Glauben in seiner natürlichen Umgebung erlebbar zu machen.
P. Solomon Raj:  Batik "Befreiung von der Last des Gesetzes";  Grossbild 95 Kbleerkl.gif (812 Byte)So kam es, dass die Christen zu Fremden in ihrem eigenen Land wurden, Topfpflanzen zu vergleichen, die im Freiland keine Wurzeln schlagen können. Glücklicherweise gibt es jedoch heute viele einheimische Kirchenlieder in allen Sprachen, die zu indischen Melodien geschrieben sind, es gibt auch schön strukturierte indische Liturgien, in denen indische Symbole Verwendung finden und bei denen die Gläubigen mit Leib und Seele mitfeiern.
leerkl.gif (812 Byte)Wie bereits erwähnt, ist es jetzt über 15 Jahre her, dass ich ein Musikdrama in der Telugu-Sprache geschrieben habe, bei dem ich indische Musik verwendete. Ich adaptierte einen in meiner Heimat sehr bekannten Tanz, den sogenannten Kuchipudi-Tanz, der jahrhundertelang dazu diente, die Geschichte der Hindugötter darzustellen. Damals kritisierten mich viele Leute, weil ich gerade diese Tanzform ausgewählt hatte. Sie warfen mir vor, dass Tanz als Kunstform nicht christlich, sondern in Hindutempeln beheimatet sei und dass er nicht dazu tauge, das christliche Evangelium zu verkünden.
Kulturelles Erbe anwenden Heute, nur wenige Jahre nach diesen frühen Versuchen, sind wir toleranter geworden. Immer mehr Christen erkennen, dass wir unser reiches kulturelles Erbe nicht einfach beiseite werfen dürfen, nur weil es von ausserhalb der Kirche stammt. Wir glauben dass es auf die Botschaft ankommt und dass' sich die Botschaft ein geeignetes Medium als Vehikel aussuchen darf. Es ist dann auch in einem gewissen Sinne "Inkarnation", Fleischwerdung des Wortes.
leerkl.gif (812 Byte)Hätte man beispielsweise die Bibel nicht in über 1000 Sprachen übersetzt, hätte man nicht jedem Menschen die Gelegenheit gegeben, das Evangelium in seiner eigenen Muttersprache zu hören, wie das schon beim ersten Pfingstwunder der Fall war, die Kirche wäre heute um vieles ärmer.
Indische Symbole christlich deuten Wenn wir christlichen Künstler aus Indien heute also auch einheimische Symbole verwenden und sie auf neue Weise christlich interpretieren, tun wir nichts anderes als das, was die christlichen Künstler auf der ganzen Welt in all den Jahrhunderten getan haben.
Für uns ist die Lotusblume noch immer ein Symbol der Seele, die aus der Dunkelheit zum Licht aufsteigt. Wasser ist noch immer ein Symbol der Reinigung und der Freude in Fülle. Das Licht ist ein Symbol für Christus selbst, der sich als "das Licht der Welt" bezeichnet hat. Wir sehen Jesus gern als Lehrer, als Retter, als Welten-Heiland, und so malen wir ihn mit einem Heiligenschein, manchmal im Lotussitz, mit rotem Gewand, das seinen Tod und seine Königswürde symbolisiert. Der Herr in der Padmasana-Stellung (Lotussitz) ist heilig und anbetungswürdig und zieht uns in die Mandala seiner Heiligkeit. Er ist der "Ajanubahu" (,der mit den langen Armen, der die gesamte Menschheit erreichen und segnen kann'), er ist "Padmaksha" (,der Augen hat rot wie Letus, dessen Augen gerötet sind vom ständigen Wachen über uns'). Er ist auch "Meenaksha" (,der Fischäugige, der wie ein Fisch im Wasser nie seine Augen vor den Nöten seiner Kinder verschliesst'). Unsere Vorliebe für Engelgestalten, die fliegenden Geister, die Elemente der Natur wie Sonne, Mond und Feuerflammen, ist darauf zurückzuführen, dass wir Gott überall und alle Zeit handeln sehen.
Die Lieder unserer Träume Wir treten nicht für viele Christusse ein, etwa für jede Kultur einen, sondern für einen Christus, obwohl es viele Christologien gibt. Es gibt nur ein Evangelium, aber mehr als ein Christentum. Wir wollen nicht nur in einer Sprache sprechen, die unsere Nächsten leicht verstehen und auf die sie antworten können, wir suchen auch nach unserer Glaubenserfahrung, ohne dass wir uns nach westlichen Vorbildern und Vorschriften ausrichten müssen. Wir möchten die Lieder unserer Träume singen, wenn wir Gott preisen, und wir möchten die Blumen unseres Landes und den süssen Duft unseres Weihrauches zur Ehre Gottes darbringen.
Symbole und religiöse Erfahrungen Die Symbolsprache repräsentiert auch den sogenannten ,weiblichen Aspekt' des Lebens, die mütterliche Sprache, die Sprache des Leibes, die für religiöse Erfahrung und Verehrung sehr angemessen ist. Die universellen Symbole, die Carl G. Jung Archetypen nannte, sind in der religiösen Erfahrung der Menschen äussert mächtig, sie sind gemeinsamer Kulturschatz, und wir wären ärmer, wenn wir diesen Schatz nicht mit unserem Volk teilten.
leerkl.gif (812 Byte)In meinen Bildern habe ich versucht, Symbole zu verwenden und durch sie meinen Glauben sprechen zu lassen. Ich weiss nicht, wieweit mir das gelungen ist. Bei manchen Bildern sind heutiger Alltag und biblisches Vorbild untrennbar miteinander verbunden. Die Frau von Samaria sieht auf manchem meiner Bilder aus wie irgendeine Frau aus einem indischen Dorf. Damit möchte ich ausdrücken, dass Christus auch heute und überall in unser Leben treten kann, jedesmal dann etwa, wenn wir eine Begegnung suchen. Die Geschichte von Hagar und Ishmael erinnert mich daran, dass Gott auch heute uns beschützt und für uns sorgt. Das Bild der Flucht nach Ägypten spiegelt auch das Flüchtlingselend in der heutigen Welt wieder und lässt mich daran denken, dass sich der Herr mit den heimatlosen und entwurzelten Menschen ganz besonders verbunden gefühlt hat.
leerkl.gif (812 Byte)Symbole sind also wichtige Elemente meiner Bilder, sie sind die Schlüssel zu den Geheimnissen, die ich als Künstler zu erkennen helfen möchte.

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