3. Einige Anliegen der christlichen Künstler und die Kirchen in Indien
[-8-]
Obwohl die visuelle Kommunikation allgemein in Indien eine ehrwürdige
Tradition hat und ein lebenskräftiges Element des religiösen Lebens ist,
haben sich die protestantischen Kirchen davor gescheut, in quantitativ
wahrnehmbaren Mass Bilder zu gebrauchen. Die Kirchen haben sich völlig
und ausschliesslich auf die verbale Kommunikation beschränkt allein auf
das Wort. Liturgie und Verkündigung war in sämtlichen evangelischen
Kirchen bisher eine Sache des gesprochenen Wortes. Gelegentliche Bilder an
der Wand dienen lediglich zur Dekoration und sind kein Gesprächsthema.
Das Kirchenmitglied in der Kirchenbank würde sofort an Götzenanbetung
denken, wenn von Bildern und Bildwerken die Rede ist.
Zum Verständnis sei gesagt, dass die Trennungslinie zwischen Gottesdienst
und Menschenverehrung in der indischen Mentalität nur sehr schwach
ausgeprägt ist. Darum hängen in indischen Häusern nicht selten Seite an
Seite die Bilder von Krishna und Gandhi.
Viele Pastoren und Kirchenführer, die es aber besser wissen könnten,
sind nach wie vor sehr zögerlich, wenn es um bildhafte Darstellungen
geht. Viele sehen einfach nicht dass Bild und Wort die zwei Seiten
derselben Gottesoffenbarung sind. Doch so wird die Tatsache, dass das Wort
Fleisch wurde (Johannes-Evangelium 1, 14), nicht verstanden.
Es ist aufschlussreich, was Dr. James Massey kürzlich sagte, der zugleich
Kirchenführer und Theologe ist. In seinem Vorwort zur englischen Ausgabe
meines Buches 'Lebendige Flamme sprudelnder Quell' (ISPCK 1993) hat Dr.
Massey ausgeführt:
"1990-91 verbrachte ich ein Studienjahr in Oxford. Das bot mir
Gelegenheit zur Teilnahme an einer Vorlesungsreihe zum Thema Wort und
Bild. Nach einem ganzen Semester einschliesslich Zwischenexamen hatte ich
den Eindruck, dass ich [-9-] den Zusammenhang von Worten und
Bildern immer noch nicht voll verstanden hatte.
Inzwischen
arbeite ich seit mehr als zwanzig Jahren als Verlagsleiter und kämpfe
manchmal immer noch um diesen Zusammenhang, besonders dann, wenn wir
Bilder zur Illustration von Texten verwenden. Aber nachdem ich in dein
Buch 'Lebendige Flamme ...' die Bilder von 35 wunderschön
kolorierten Batiken gesehen habe und die damit korrespondierenden Texte
und Meditationen, bin ich überzeugt, dass die Botschaft eindrucksvoll
vermittelt werden kann — vorausgesetzt, dass der Künstler ebenso wie
der Autor die innere Bedeutung der Wirklichkeit sieht, die zugleich auf
der Wort- und der Bildebene vorgestellt wird."
Ein zweites Hauptproblem liegt für die neuere darstellende Kunst Indiens
im Bereich des Umgangs mit Sinnbildern und dein Sinnbildhaften. Indische
Christen haben mit der Taufe ihre kulturelle Verwurzelung verloren. Damit
verloren sie auch die Ausdrucksweise, die Spracheigentümlichkeit und die
Bildhaftigkeit ihrer Vorfahren. Um ihren Glauben leben und die
Bildersprache ihres Heimatlandes wieder aussprechen zu können, sind
indische Künstler und Theologen heute bemüht, ihre eigene kulturelle
Verwurzelung neu zu entdecken. Das ist kein leichter Prozess.
Viele rechtschaffene Leute fragen sich heute, ob es möglich ist, die
kulturelle Symbolik aus ihren überkommenen hinduistisch-religiösen
Zusammenhängen zu lösen und neu zu interpretieren. Mit anderen Worten
geht es um die Frage, mit welcher Erfolgsaussicht wir christliche Inhalte
in die überkommenen Formen füllen können.
Aber diese Herausforderung ist nicht neu. So alt wie die Christenheit
selber ist die Praxis, dass. christliche Kunst Anleihen macht bei
heidnisch-nichtchristlichen bzw. bei säkularen Quellen. R. H. Bainton
nennt als Beleg dafür ein Christusbild aus den Katakomben der frühen
Christenheit. Das Bild enthält Elemente von drei verschiedenen Kulturen:
die syrische Haartracht und den Bart, das griechische Alpha und Omega und
dazu den Heiligenschein hinduistischen oder römischen Ursprungs.
[-10-] Es gibt mancherlei Beispiele aus der Kunst der Alten Kirche,
wonach Christus dargestellt ist als ein attraktiver heidnisch-heldischer
Apoll.
Christliche Künstler in Indien tun heute nichts, was nicht auch Paulus
getan hat, als er sich aus den ihn umgebenden Kulturen Symbolworte und
Sprachbilder auslieh. Die in Metall getriebenen Christusfiguren von
Alphonso oder Jyothi Sabi‘s am Kreuz tanzender Christus sind nichts
anderes als der sichtbare Ausdruck eines Glaubens, der vom Künstler
ausgedrückt wird in der Bildersprache der ererbten eigenen Kultur. Wenn
die Farbe Schwarz nach indischem Denken die Farbe der Macht ist, dann
sollte man es dem indischen Künstler nicht verdenken, dass er die
Muttergottes mit einem dunkelhäutigen Körper darstellt wie sonst Shakthi,
die Göttin der Kraft.
Und wie stellen sich die Hindus zu dem allen? A. D. Thomas berichtet von
einem befreundeten Hindu, der die Vorstellung von einem Christus in der
Gewandung des sadhu zutiefst bejaht. Aber die Reaktion von der Seite der
Hindus ist nicht immer so positiv. Manche, denen ein indischer Christus im
Gewand eines sadhu gezeigt wird, verlangen statt dessen nach einem Bild
des 'wirklichen' - d. h. eines europäisierten - Christus.
Es ist keine Frage, dass die Gefahr einer
"Sanskrit-Gefangenschaft" Befürchtungen auslöst, Inkulturation
könnte in Hinduismus enden.
Als ich mein erstes Musical und Tanzdrama in der Telugu-Sprache schrieb
und aufführte, gebrauchte ich die alte klassische Form und Sprachweise.
Wie beabsichtigt, war das für viele gebildete Hindus attraktiv. Sie
gestanden, dass sie die biblische Botschaft noch nie in der reizvollen
Sprache des Telugu gehört oder präsentiert bekommen hatten. Aber
während ich so versuchte, die biblische Botschaft für die Schicht der
Gebildeten relevant zu machen, verlor ich in gewissem Mass den Zugang zur
"schweigenden Mehrheit". Ich vergass die grosse Menge der
Analphabeten und Unterdrückten, die in der Gegenwart die Kultur derer
zurückweisen, von denen sie so lange im Zustand der Unterwerfung gehalten
worden waren.
[-11-] Nach Richard Taylor ist die Kunst eine Antwort auf eine gegebene
menschliche Situation, eine Antwort, die hoffentlich durchdringt und
wenigstens einige der Geheimnisse unserer Wirklichkeit öffentlich macht.
Ich denke, Kunst ist dazu verpflichtet bis in alle Tiefen der
Gesellschaft. Darum sollte sie nicht nur die Sprache der Eliten sprechen,
sondern verständlich sein auch in der Sprache der Dalits. Taylor hat
recht mit der Feststellung, dass es ebenso wie es Bindestrich-Christen
gibt wie die Dalit-Christen, die schwarzen Christen und die Unberührbaren
Christen, so sollte es auch einen Bindestrich-Christus geben, einen
Dalit-Christus, einen schwarzen Christus, einen Christus der
Unberührbaren usw. Hier liegt die Rechtfertigung für das Schaffen der
Künstler im heutigen Indien: Christus soll zu Indien sprechen. Indische
Menschen sollen ihm auf indischen Strassen begegnen können.
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